Der fiese Verriss
Secondhand Haircut (CD-Compilation, Dhyana Records DHY 049, 2003)

Wir sind ja bekant dafür, dass wir das Programm von Dhyana Records hoch schätzen und immer hoch loben. Deshalb hat das Label jetzt, um einem Glaubwürdigkeitsverlust vorzubeugen ("Also mal ehrlich, diese gebrauchtemusik-Lobhudeleien, die schreibt ihr euch doch immer selber, oder?"), die Überstellung eines Rezensionsexemplars des aktuellen Label-Samplers an die Bedingung gekoppelt, dass es auf gebrauchtemusik einen fiesen Verriss davon zu lesen gibt. Natürlich wollen wir das Rezensionsexemplar haben, dafür und für Freigetränke machen wir - gebrauchtemusik, das Flittchen aus der Nachbarschaft - doch fast alles, außer vielleicht einer Arschbombe vom Zehnmeterbrett. Also, verreißen wir uns mal den Arsch auf:

Der Titel Secondhaircut ist ja schon ein Selbstzitat des Labels, das auf den legendären Nik-Kershaw-Sampler We Don't Care About the Haircut anspielt. Denen fällt wohl auch nix Neues mehr ein. Und dann noch das hingerotzte Cover...

Pichismo aus der Ukraine eröffnet den bunten Veitstanz mit einem Stück, das klingt, als hätte er eine ganze Russendisko durch seine Prä-Perestroika-Stereo-(oder Mono-)Anlage gewurstelt. Da möchte ich nicht in der Nachbarwohnung wohnen, noch dazu, wo die Wände in der Ukraine bestimmt auch nur aus Pappe sind.

Bei Mike Rock and The Roter Traktor Allstars ist der fake-sozialistische Bandname hingegen vollkommen unangebracht, weil sie einfach epigonalen uramerikanischen Highspeed-Surfpunk spielen. Zwar schneller als die Ramones, aber das ist ja auch kein Kunststück, seit die alle tot sind.

Die Stinos klingen wie Helge Schneider und seine kleine Band Hardcore als Trennkost: Der Refrain erinnert an Helge Schneider, der Rest ist Hardcore.

Stayer sind aus Italien und immerhin nicht Slayer, obwohl man das zuerst natürlich so liest und wieder an so einen Scherz der Labelmacher denkt... Wimmerpop mit Grungegitarren. Der Sänger hat arg viel Angst, hoffentlich nimmt er sich nicht irgendwann in der Nachfolge von Kurt C. die Flinte zur Hand. Gerade in Italien, wo jeder eine Knarre zum Vögelballern hat, ist das Risiko da ja groß.

Tape of Californium von Mathias Huber klingt in der Tat wie die kalifornischste aller Bands, die Omaha Beach Boys: ein Surfsong, aber mit einem 30 Meter hohen Tsunami als Welle. Ein Hot-Rod-Song, aber mit einem Stealth-Bomber als Auto. And she had fun fun fun till her daddy took the H bomb away - was jetzt aber kein Zitat aus dem Stück ist, denn das hat keinen Text. Dampfwalzen sprechen nicht.

die grenzlandreiter gewinnen mit Schweinebratenkrieg im Knüllwald souverän den Lifetime Achievement Award für bekloppte Songtitel. Ansonsten soll das wohl ein Soul-Stück sein, was man aber wahrscheinlich nur nachvollziehen kann, wenn man selber eine Seele hat. Insofern sind wir da nicht zuständig.

Florian Filsinger soll nach dem ganzen Krach jetzt wohl für Schmerzlinderung sorgen mit flockigen Flächen und munteren Beats. Wenn man letztere weglässt, kann man bestimmt auch Qi Gong dazu machen. Aber das soll ja sehr gesund sein.

Das kompositorische Highlight der Zusammenstellung: zwei Florians hintereinander. Florian Soul macht auch milde Elektronik, hier allerdings weniger mit D'n'B, sondern mit deutlichem 80er-Einschlag. Wenn mit dem titelgebenden Stimmsample 6400firefighters wirklich noch mal das WTC-Debakel zitiert wird, gibt's aber noch drei Punkte extra in der Flensburger Gehörsünderkartei!

Bantu Mantra & Gerald Fiebig machen auch ein bisschen auf 80er-Elektro, aber mehr so die kaputte Sorte. Den Text versteh, wer will.

Die Öffentliche Probe Band (ÖBB) besingt lobend den Lärm einer Einflugschneise und macht ihn auch nach, mit Analogsynthesizer. Tja, wer würde in Abrede stellen, dass Flugzeugmotoren besser klingen als so manche (die meiste?) Musik.

Gestalt klingen jedenfalls schlimmer als Flugzeuge. Hardcore-Elektro-Geballer. Das Erdbeben, das in Kalifornien stattfindet, wenn das oben bereits erwähnte Tonband aus Californium abgelaufen ist.

G.Las macht mehr ruhigen Krach, bzw. schichtet O-Töne und abstrakte Beats aufeinander. Wenn man es mit schnellem Vorlauf anhört, klingt es wie chinesische Volkstanzgruppe im Reisrand.

Hjarljuchte macht Texturen mit einer ziemlich kaputten Gitarre. Eigentlich unser Lieblingsstück, weil wir auch eine verstimmte Gitarre hier rumstehen haben und uns denken, das kriegen wir auch noch hin. Bloß, dass hier auch so Flötenkram mit bei ist, und in diesem Haushalt gibt es lediglich eine Darmflöte. Dumm gelaufen.

Laufen tut bei Discotheque Grönland gar nichts, wenn überhaupt, dann schieben sich die tiefen Frequenzen hier mit der Geschwindigkeit eines kalbenden Gletschers vorwärts. Aber das ist ja auch kein Wunder bei dem Namen.

Booze & Bam machen Triphop im Kinderzimmer, mit Spielzeugkeyboard und Dudelsack. Naja, Dudelsäckchen vielleicht eher. Aber plötzlich mutiert das Ganze zu so einer Art Krachrock-Collage. Wahrscheinlich überhaupt alles collagiert, ein Cut-up-Hörspiel in zwei Minuten. Das ist jedenfalls um einiges origineller als der Rausschmeißer von www.gebrauchtemusik.de, in dem Handytöne verhackstückt werden.

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