Pop und die Welt als Text
Anajo: Pop und die Welt (CD, 1999). Bestellung über die Band.
Clipper: Fliegerschule (CD, 1999). Bestellung über die Band.

Wenn in einer Rezension der ersten CD von Clipper ebenso wie - um ein beliebiges Beispiel zu nennen - bei der Ankündigung eines Konzertes von Anajo, auf dem ich letzte Woche war, immer wieder der Begriff "Hamburger Schule" fällt und sich an den so etikettierten Bands keine musikalischen Gemeinsamkeiten ausmachen lassen, dann bedeutet das vielleicht: Der Begriff hat sich seit seiner ersten Formulierung von dem spezifischen Hamburg-Kontext abgelöst, in dem ja schon immer ganz unterschiedliche Musik gemacht wurde, und wird jetzt einfach als bequemes Kürzel für einen nicht länger als Ausnahme empfundenen Sachverhalt verwendet: dass Popmusik mit deutschen Texten möglich ist. Und Pop in dem Sinne, den wir - nicht nur hier - meinen, als "das Nichtgeniale [...] bereits bestehende Ideen zusammenstellen" ("Mit Klängen kann man spielen", heißt es bei Anajo), ist stets eine wechselseitige Dekonstruktion von Sprache und Musik, eine "permanente Revolution der Rede", als welche Roland Barthes im Punk-Jahr 1977 die Literatur bezeichnete. In der Popmusik wird diese revolutionäre Bewegung durch das Wechselspiel von Sprache und Musik noch um etliche Dimensionen erweitert. (Würde man Englisch singen, wiche man den Machtstrukturen in der Sprache aus, die es zu "überlisten" gilt (Barthes) - bzw. straft sie durch Nichtachtung.)
Das wiederum ist ein Zeichen, dass es zumindest in einem so eingeschränkten Bereich wie dem der so genannten "populären" Musik in diesem Land doch einen zaghaften zivilisatorischen Fortschritt gegeben hat - vorher gab es da ja nur Leitkultur, segmentiert in Schlager und Deutsch-Rockismus.
Wie gesagt: Auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen sich die beiden CDs, an denen sich diese Beobachtung festmacht, nicht. Gut finde ich sie beide und nenne deshalb nur meine persönlichen Anspieltipps: bei Clipper sind es Toll, an dem mich vor allem, wie schon bei The Sound of this Town von ihrer zweiten CD (mittlerweile ist auch eine dritte erschienen), besticht, wie treffend sie die alltäglichen Aspekte des Nachtlebens beschreiben, und Stimmt es, dass es sein muß?, bei Anajo ist es eindeutig der Opener Schokolade & Pistolen.

gebrauchtemusik

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