Am Kältepol der Symbolik
Challiphoracash Records: Challiphoracash Records (CD)

Challiphoracash Records ist die gemeinsame Plattform für verschiedene Homerecording-Industrial/Noise-Projekte, von denen auf dieser Auswahl-CD drei vorgestellt werden. Die drei Tonträger, aus denen die Ausschnitte stammen, können direkt beim Label bestellt werden.

Scheintot verknüpfen gesprochene Lyrik mit Klangcollagen, wobei anders als bei vielen Projekten mit ähnlicher Klangästhetik hier eindeutig der Text im Vordergrund steht. Sind Scheintot die Blumfeld des Industrial-/Elektronik-Genres? Die Frage drängt sich auf, allerdings lässt das aggressive Pathos der Texte auch eher an Gothic-Bezüge denken. Zweifellos funktionieren die Texte nur im Kontext mit den Sounds, und die Verbindung ist, wie ich finde, strukturell recht gut gelungen. Eher sphärische Sounds (Gitarrenfeedbacks?) treffen auf harschere Elektroniktexturen, und in diese sich überkreuzenden und verflechtenden Stränge sind die Stimmen durch eine maßvolle elektronische Bearbeitung geschickt eingebettet anstatt penetrant in den Vordergrund gemischt.

Jeden Wettbewerb für den unpopulärsten Tonträger des Jahrhunderts würde derzeit wohl das Tape with liberty and justice for all von AmeriKKKa gewinnen. Bandname und Titel wie burning ameriKKKa waren auch vor den Anschlägen auf World Trade Center und Pentagon nicht sonderlich originell (weder als politisches Statement noch als Schockeffekt), v.a. aber sind sie als zehnminütige Vor-sich-hin-rausch-Tiraden weniger eine Schallfolter als vielmehr schlicht langweilig. Spannend und auf eine von den Künstlern wahrscheinlich nicht intendierte Art aktuell klingt dagegen sunrise asia, in dem gesamplete "orientalische" Stimmen auf einen wuchtigen Beat treffen. Hier ist ein Konflikt zu hören, wie man ihn interpretieren will, bleibt der Hörerin überlassen. Und das ist gut so.

Etwas weniger programmmusikalische Überfrachtung würde das Hören der Instrumentalstücke auf dieser CD nämlich insgesamt interessanter machen. Der Stern Jakutiens (jene russische Republik, in der der Kältepol der Erde liegt) wartet auf mit einem Stück auf über Präsident Vargas, den langjährigen brasilianischen Staatschef und Hitlerverehrer, und man fragt sich, was DAS nun schon wieder soll. Musikalisch sind Der Stern Jakutiens aber mit Abstand das interessanteste der drei Projekte. Presslufthammerartige Beats, die Industrialklassikern wie den Einstürzenden Neubauten Tribut zollen (und wahrscheinlich dem Diamantenbergbau im jakutischen Permafrostboden), treffen auf fiese, kalte Synthesizerfetzen aus der Finsternis des Raums, und gelegentlich bricht der Beat tatsächlich in Drum&Bass-artige Anfälle aus. Bedrohlich, schwer lastend und nicht wirklich vorhersehbar: Musik zur Zeit.

gebrauchtemusik

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