Italo Re-Boot vs. Festplattencrash
Jean Bach: Shootingstar (LP, PlayMade Music 2000)

Jean Bachs erste Platten erschienen bei Dhyana Records in Augsburg. Nach diversen internationalen Releases kehrt er mit seinem neuen Album, der ersten Veröffentlichung des Augsburger Labels PlayMade Music, vorübergehend in die publikationstechnische Homebase zurück.
Seit diesen ersten Veröffentlichungen ist gar nicht so viel Zeit vergangen, aber mittlerweile ist Jean Bach schon ein ziemlich bekannter Name in experimentellen Elektronikkreisen. Darauf spielt das hübsche Cover wohl ironisch an: Auf dem Foto räkelt sich der Künstler, ganz erfolgverwöhnter Playboy ;-), am Rande eines Swimmingpools - der sich beim zweiten Hinsehen dann doch als Baggersee herausstellt...
Das Cover spielt also gewissermaßen mit einem Vorwissen über Jean Bachs bisherige "Karriere" (und damit, dass immer wieder dieselben Leute seine Platten kaufen?). Insofern ist es die ideale Verpackung für diese Platte, denn die tut, so wie ich sie höre, etwas ganz Ähnliches: Die Stücke machen sich immer wieder über die Rituale rund um die Musikstile lustig, die sie als Sample-Quelle für ihre eigene Musik benutzen (besonders gelungen in den musikalischen Samples und deren Kontrastrierung durch die peinlichen MC-Ansagen auf Italo-Boot-F-F-F-F-Find ich gut!).
Dieses Verfahren begegnet einem aber auch auf der Ebene der ganzen Platte: Ohne Pause zwischen den Stücken wechseln Sound und v.a. Grundrhythmus von einem Track zum anderen so abrupt, als würde das nachfolgende Stück dem vorher gehenden zurufen: "Du hast doch keine Ahnung! So geht das!" Das schönste Beispiel dafür ist die Sequenz des nur sekundenlangen verfremdeten Samples Japanese Girl, denen dann Mika Vainio is dead folgt. Das Sample eines Radio-DJs, der ein verschmocktes 80er-Popstück ansagt, wird abgelöst von einem minimalistischen, aber äußerst atmosphärischen Track, der einen bedrohlichen leeren Raum 'hinter der Musik' heraufzubeschören scheint, der alle Klänge verschluckt. Unterstrichen wird dies noch durch das auf Mika Vainio folgende Ambientstück Der Neger hat meine Fahrkarte aufgefressen (Fullmoonfahrtmix), eine faszinierend dunkle Klanglandschaft, die das Werk von Jean Bach wieder mal um einen ganz neuen Aspekt bereichert. (Mich persönlich erinnert es, was ich durchaus gut finde, an die Old-School-Ambient Music von Brian Eno, die auf den Bowie-Alben "Heroes" und Low zu hören ist.)
Dadurch, dass er nicht nur die Musik selbst sampelt, sondern deren Kontext (eben in Form von Radio- oder Bühnen-Ansagen) mit zitiert, weist Jean Bach darauf hin, dass er aus einem Archiv schöpft, dass er neue Klänge aus bereits "gebrauchter" Musik gewinnt.
Dieses Archiv der bereits vorhandenen aufgenommenen Musik ist potenziell unendlich, und wir werden ständig mit seiner gewaltigen Datenmenge konfrontiert, weil wir heute in so vielen Situationen Musik hören wie noch nie zuvor. Simon Frith schreibt zu diesem Phänomen:

"The "past" of music is endless re-experienced in its presence; the most distant or strange music ceases to be special. It can no longer be defined against the everyday as something unusual; music is now the everyday (and silence becomes the mark of the special moment: a minute's silence to observe death; the silence in a film which accompanies the most intense tension or ecstasy)."

Um besonders intensive Wirkungen zu erzielen, müsste Musik dieser These zufolge also auf musikalischem Wege Stille herbeiführen. Indem sie die verschiedenen Stücke und Stilmittel sich immer wieder gegenseitig "unterbrechen" lässt, kommt Jean Bachs neue Platte dem Erreichen dieses paradoxen und daher notwendigerweise unerreichbaren Ideal ziemlich nahe.

Eine LP von Jean Bach gibt es bei gebrauchtemusik noch zu bestellen:
Einen Traum für diese Welt
Eine Rezension von Jean Bachs EP Jean Sans Le Playback (Mais Avec Les Autres) findet sich hier.

gebrauchtemusik

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